Solange du vor dem Säbelzahntiger flüchtest, dichtest du kein Sonett – die Leiden der Mütter die was ändern wollen

Die Vorgeschichte

Es gibt eine Diskrepanz zwischen meinem aktuellen „Mutter sein“ und meinem Wunschbild von „Mutter sein“. Für die, die jetzt schon die Augen rollen, weil sie denken, da redet so ne esoterische verschwurbelte frustrierte Hausfrau von Energien, und Idealbildern und Bullerbü-Welten, dann klickt bitte auf das kleine Kreuz oben rechts und verpisst euch. Diese Reaktionen kenn ich nämlich schon, die langweilen mich und ich setze mich damit gar nicht mehr auseinander. Es geht mir um Persönlichkeitsentwicklung, nicht um das Setzen von unerreichbaren Zielen. Ich weiß, dass es möglich ist, dieser Mensch zu sein, den ich in meinem Kern schon so oft sehe. Ich weiß auch, dass ich mir damit viel Schmerz und Kampf und viel Mühe auflade und ja, verdammt nochmal, ich weiß auch, dass es viel leichter wäre, die Sachen einfach so zu akzeptieren wie sie sind, nichts zu hinterfragen und mit dem Motto „das hat uns ja auch nicht geschadet“ einfach das zu machen was man kennt, weil das so schön bequem ist. Aber ehrlich, da würde ich lieber sterben, als mich selbst so zu beschneiden. Als Mensch hat man so ziemlich als einzige Kreatur die Möglichkeit der Reflektion und damit die Möglichkeit sein Verhalten bewusst zu verändern. Verhalten nachhaltig zu verändern, geht nur über Gefühle ändern, denn die ändern dann deine Gedanken und deine Gedanken bestimmen dein Verhalten. Aber Gefühle  ändern ist mitunter ein schmerzhafter Prozess, weil man in sämtliche Gefühle erstmal einsteigen muss, weil man sie nicht festhalten darf und weil man bereits schon Gedanken manifestiert hat, die einem dabei immer wieder im Weg stehen.

Da ich ja auch im Powerlifting unterwegs bin benutze ich jetzt mal die Metapher einer Kniebeuge. Die kann man richtig oder falsch machen. Ich habe sie in den letzten zehn Jahren trainiert und dabei eine klitze Kleinigkeit falsch gemacht. Mein Hüfte war ein paar Grad zu sehr gekippt, die Bauchspannung ging dadurch verloren und Rückenschmerzen stellten sich ein. Ich konnte schon 70 kg beugen, aber nur mit meinem alten Muster. Was mein Kopf schon lange wusste (also wie ich theoretisch eine saubere Beuge mache), hab ich jetzt auf meinen Körper und mein (Körper)Gefühl übertragen (wie ich praktisch eine saubere Beuge mache). Aktuell beuge ich sauber 50 kg. Wenn ich mich aktuell dem „Stress“ von 70 kg aussetze, verfalle ich sofort zurück in mein altes Muster, es sitzt einfach zu tief.

Die Ausgangslage

Und genau so verhält es sich mit dem Stress zu Hause. In einem entspannten oder kontrollierbaren stressigen Rahmen, kriege ich meine neuen Verhaltensmuster gut umgesetzt, ich muss mich mitunter konzentrieren, ich beobachte mich stellenweise noch sehr genau, aber es klappt. Doch dann gibt es eben noch die nicht kontrollierbaren Situationen, Situationen in denen nichts so klappt wie gedacht und zig unvorhergesehene Dinge passieren. Hier ein kleiner Auszug, aus einer Situation, die vielleicht nur 2-5 Minuten dauert, dabei aber wahnsinnig laut und voll Geheule ist und in der es (zumindest für die Kinder) echt um was geht:

Die Mittlere kloppt dem Kleinen, weil der auch mal anfassen will, den gerade entdeckten Handfeger über den Kopf, während die Große den Locher und seine Atompapierschnippsel in der Toilette entleert, alle brüllen und wollen meine Hilfe, während ich versuche die Feuer zu löschen, verbrennt der Pfannkuchen auf dem Herd.

Neulich wurde ich gefragt, wie oft diese extrem stressigen Situationen, in denen sich hier alles überschlägt auftauchen und ob ich wohl da eher von 10 oder von 15 Situationen im Monat(!) spräche. Nachdem mein lautleises, trockenverschlucktes Lachen verklungen war, sagte ich: richtig, 10-15 Situationen, nur nicht im Monat, sondern am Tag.

Gehen wir mal von 10 aus, das lässt sich super rechnen, denn ich bin jeden Tag 10 Stunden mit den Kids alleine, macht also eine Eskalation pro Stunde. In der Realität kann sich das natürlich anders verteilen, aber fürs Erklären ist das super. Dann schaff ich es also 55 Minuten lang, ganz normal und entspannt zu sein und eben so wie ich bin und sein möchte. Dann kommt Eskalation 1 in Stunde 1. Die steck ich auch noch (je nachdem wie die Nacht war) gut weg. Aber bei Eskaltion 4 oder 5 oder 6 ist dann einfach der Stresspegel irgendwann so hoch, dass ich in mein altes Muster verfalle. Und nicht selten beginnt dann eine Abwärtsspirale aus der man mal leichter und mal schwerer wieder raus kommt. Ich überlasse es mal jeder Leserin und jedem Leser selbst, dieses Szenario auf 5 Tage die Woche im 3 Jahre Dauerschleifenmodus anzuwenden. Ich will hier nicht rumheulen, kein Mitleid und mich nicht beklagen, aber es ist eben wie es ist. Und Verhalten in Stresssituationen ist eben nicht nur Psychologie und guter Wille, sondern auch zu einem großen Teil Biochemie.

Warum Biochemie

Da gibt es diverse Stresshormone, wie Adrenalin und Noradrenalin und die machen den Kopf mal komplett nicht frei, sondern sorgen für nen ordentlichen Tunnelblick, in dem man seine ganz basalen Muster abspielt. Anders formuliert: Solange du vor dem Säbelzahntiger flüchtest, dichtest du kein Sonett. Es ist eben wie mit der schweren Beuge, wenn die 70 kg (noch) zuviel sind, dann kannst du nicht so „performen“ wie du eigentlich weißt, das es richtig ist. DU kannst das Gewicht bewegen, aber es ist nicht gesund. Die alten Muster sitzen zu tief und werden sofort abgerufen. Also muss man mit dem Gewicht runtergehen, die Technik verbessern und insgesamt stärker werden, damit man dann auch in stressigen Situationen angemessen reagieren kann.

Wenn ich Geschreie meiner eigenen Kinder höre, auch wenn ich weiß, dass sie nicht in Lebensgefahr sind. Die Rezeptoren und Synapsen in meinen Gehirn wissen das nicht. Ich bin überzeugt davon, dass eine Blutprobe vor und nach der oben beschriebenen Szene Bände sprechen würde, was mein Stresslevel angeht. Ich kann das nicht willentlich steuern und ich kann in der Zeit nicht die lockere, gelassene, liebevolle Mutter sein, die ich so oft schon bin, die in mir steckt und die ich sein möchte. Ich funktioniere dann nur. „Ist doch normal“ höre oft als Reaktion, „man muss auch mal motzen“. Ja, kann sein, ja vielleicht, aber ich werde nicht aufhören das ändern zu wollen, ich werde nicht aufgeben. Weil ich es für meine Kinder tue, für sie und für mich und dafür, dass sie selbst mit ihren eigenen Kindern, später als Eltern, bildlich gesprochen, jederzeit 150 kg beugen können. Ohne Verletzungsgefahr.

„She believed she could, so she did“

Wovon redet die eigentlich

Ok, ich werde mal konkret, wer bis hierhin gelesen hat, hat es verdient. Wie schon erwähnt, ich ernte oft verdutzte Blicke, weil wenn man mich kennt, weiß man, dass ich diesen Job hier mit drei sehr kleinen Kindern und dem entsprechendem Anspruchsniveau bereits sehr gut mache. Größtenteils. Bedienen wir uns nochmal unserer kleinen Statistik von oben und behaupten 7 von 10 Extremsitutionen am Tag meistere ich hervorragend (nicht weil es mir in die Wiege gelegt wurde, sondern weil ich die letzten Jahre viel Zeit mit Meditation, guten Büchern und guten Menschen verbracht habe). Macht 35 Top-Performances in der Woche. Cool. Sind dann noch drei verkackte Situationen, also 15 pro Woche. 15 zuviel. Was mach ich da eigentlich, was mich so runterzieht? Hier die Wahrheit, frei raus, auch wenn es weh tut das überhaupt zu formulieren:

  •  wenn ihr nicht gleich aufhört, dann“ – ja, ist Erziehungsalltagssprache wo man auch hinhört, aber mal ehrlich, wie scheiße ist das bitte, wie sehr kann man seine eigene Hilflosigkeit mit willkürlichem Machtmissbrauch überspielen?? Ich will das nicht, das ist armselig.
  • „ich würde ja mit dir auf den Spielplatz gehen, aber“ – schlägt in die gleiche Kerbe, kein Kind dieser Welt kann sich für die abertausend Aber-Sätze die es im Laufe seiner Kindheit hört irgendwas kaufen. Alles was man als Kind lernt ist, die Erwachsenen sagen Dinge, die sie eigentlich nicht wollen, verpackt in einen Satz, der so anfängt als hätten sie dich verstanden und dann kommt ein ABER. Niemand macht das was er sagt, alle machen nur das was sie wollen. Was ist das für ein beschissenes Mindset das man damit aufbaut? Ich will das nicht, das ist armselig.
  • laut werden – kein weiterer Kommentar, wenn es nicht gerade darum geht, dass das Kind gedankenverloren auf die Strasse rennt und vom Auto überrollt werden könnte, dann ist laut werden, brüllen und all das ABSOLUT ARMSELIG. Armseliger geht es gar nicht. Es ist Gewalt, es ist scheiße und es passiert mir trotzdem. An alle da draußen, die auch schon ihre Kinder angebrüllt haben oder das regelmäßig tun: Wenn ihr das toll findet andere Menschen anzubrüllen, dann macht das doch mit den unzähligen Menschen da draußen, die sich jeden Tag kacke benehmen und  echte Arschlöcher sind. Das wäre mutig und ihr bekommt meinen Applaus. Aber bitte nicht mit Schutzbefohlenen, die von euch auf jeder Ebene abhängig sind. Das ist so unfair und einfach nur armselig.
  • echtes Interesse, richtige Prioritätensetzung –  nein nein nein, ein ordentliches Haus, gespültes Geschirr, ein gemähter Rasen und gebügelte Wäsche ist NIE NIE NIE wichtiger, als die begeisterte Geschichte die eure Kinder euch gerade erzählen wollen. Ich erwische mich zu oft dabei, nicht richtig zuzuhören, weil ich irgendwas anderes erledigen „muss“ und dieses Erledigen selbst dann nur schwer abbrechen kann, wenn es stressig wird. Ganz ehrlich. Armselig. Ich will das nicht.
  • Gedanken von Selbstmitleid. Schwer in Worte zu fassen, aber es rutschen im Laufe des Tages und besonders unter Stress viele Gedanken durch die Hirnbahnen. Am schädlichsten sind die, die einen in eine gewisse Opferrolle katapultieren. Diese Denkweise ist glaub ich ziemlich verbreitet von der Vorgängergeneration Mütter, also „unseren“ Müttern. Die haben ja schließlich „alles für uns aufgegeben“ und am Ende stehen sie mit nichts da. Ich bin da auch schon reingerutscht, zu denken, dass meine Freiheit und mein Leben und alles nur noch fremdbestimmt ist und ich so arm dran bin. Das ist peinlich, kindisch, hoffnungslos und therapiebedürftig. Ich will das nicht denken, weil es gar nicht meine Welt und Wirklichkeit ist, das ist armselig.

Wenn ich lange genug nachdenken würde, würde mir sicher noch mehr einfallen, aber das sind auf jeden Fall die Bulletpoints bei mir. Ich bin nicht verrückt. Ich weiß, dass ich es besser kann. Und eines meiner Lieblingsbücher beginnt genau so:

Ich wollte ja nichts, als das zu leben versuchen, was von

selber aus mir heraus wollte. Warum war das so schwer?“

Danke fürs Zuhören.